Reisen mit schwerstbehinderten Menschen – Anfrage an die Behindertenbeauftragte, Frau Bentele

Sehr geehrte Frau Bentele,

ich wende mich an Sie als Behindertenbeaufragte, um Ihnen eine Anregung zu geben, die sehr vielen Schwerstbehinderten zugutekommen könnte.
Ich schlage vor, dass Krankenhäuser und/oder Pflegeeinrichtungen verpflichtet werden, reisenden Schwerstbehinderten die Möglichkeit bieten müssen, um eine kleinere Reisepause einzulegen, in der die nötige Pflege (Windelwechsel, kleine Ruhezeit u.ä.) vorgenommen werden kann.
Ich möchte dies mit dem Schlagwort „Drive-In für Schwerstbehinderte auf Reisen“ belegen.

Zum Hintergrund meines Vorschlags:
Meine Frau, ein ehemalige Krankenschwester und Altenpflegerin, ist vor knapp 4 Jahren nach einer Gehirnentzündung ins Wachkoma gefallen.
Ihr Zustand hat sich mittlerweile gebessert. Sie kann hören, verstehen, sich freuen und trauern – leider ist sie (noch) allseitig gelähmt, sprechunfähig und blind. Da meine Frau sehr positiv reagiert, wenn sie als ehemalige Reiterin mit Pferden in Verbindung kommt, möchte ich sie in Kürze für einen Tag nach Aachen zum „CHIO – Festival der Reiterei“  bringen. Nun muss ich meine Frau dort versorgen (Windelwechsel, Ruhezeit). Ich habe ca. 10 Einrichtungen (Krankenhäuser und Pflege- und Seniorenheime) in Aachen angesprochen, ob ich einen Lifter und eine Liege für kurze Zeit zur Verfügung gestellt bekommen könnte. Ich habe ausschließlich Absagen bekommen!
Im vergangenen Jahr bin mit meiner Frau von Andernach an die Nordsee zur Erholung gefahren. Wir mussten in der Nacht losfahren, um ja nicht in einem Stau stecken zu bleiben; ein Windelwechsel in einer Einrichtung auf dem Reiseweg war nicht möglich. Meine Frau ist nach einem 4-stündigen Fahrtmarathon im Rollstuhl an ihre körperlichen Grenzen gekommen.

Es ist traurig, dass es in unserem ansonsten gut organisierten Land nicht möglich ist, menschenwürdig mit schwerstbehinderten Menschen  zu reisen. Eine Lösung wäre so einfach, doch viele verstecken sich hinter Phrasen wie „Bettenauslastung“ und „Kostenübernahme“.
Wie wäre es, wenn Krankenhäuser, die Betten für einen Notfall vorhalten müssen, verpflichtet würden, solche Betten auch zeitweise für die kurzzeitige Benutzung für Schwerstbehinderte auf Reisen zur Verfügung zu stellen? Warum könnten ausgewählte Heime der großen Pflegeeinrichtungen (AWO, Caritas, Diakonie…) nicht solche „Drive-In-Räume ..“ anbieten?

Sehr geehrte Frau Bentele, nur wer selbst behindert ist oder einen Behinderten pflegt, kennt die Bedürfnisse und Schwierigkeiten, die zu überwinden sind. Ich bitte Sie, sich für meinen Vorschlag einzusetzen und für eine menschenwürdige Regelung zum Wohle schwerstbehinderter Menschen zu sorgen.

Mit freundlichen Grüßen vom Laacher See
Manfred Schlich

1 Kommentare.

  1. Brokamp-Schmitz, Martina

    Lieber Manfred,

    Dein Brief ist zunächst eine große Liebeserklärung an Deine Frau. Vor allem … wie Du die Problematik beschreibst, weckt in mir Mitgefühl und den Wunsch, Euch zu unterstützen.

    Aber sachlich betrachtet: Wäre es für Deine Frau nicht viel angenehmer, bei einem Pferd, das sie vielleicht kennt, einen kurzen Moment zu verweilen? Warum die lange Reise? Warum das große Event? Du beschreibst die Einschränkungen Deiner Frau sehr gut. Geh noch einen Schritt weiter und versetz Dich in ihre Lage …

    Ich frage mich, ob Du ihr wirklich einen Gefallen tust, wenn Du mit ihr verreist. Ich bin auch schwer körperbehindert, darum erlaube ich mir eine vorsichtige Kritik.

    Du meinst es sicherlich gut. Es ist jedoch für einen behinderten Menschen oft das gewohnte, das Freude schenkt (es muss kein Kaviar sein, wenn man immer am liebsten Schinkenbrot gegessen hat). Ich würde auch gerne noch viel Reisen, aber mein Körper zwingt mich zur Ruhe. Also schau ich mir alles im Internet oder Fernsehen an. Jaaa, es ist etwas anderes, aber trotzdem schön.
    Eine Tonaufnahme mit Meeresrauschen und eine Schüssel mit Vogelsand zum Hand rein wühlen… so etwas funktioniert. Vielleicht nicht bei Dir. Du kannst ja noch mit allen Sinnen genießen. Aber bei mir geht das.

    Deine Frau ist blind, schreibst Du. Dann prallen bei so einem Event doch unendlich viele fremde Anregungen auf sie ein. Stresst das nicht mehr, als das es Freude für sie bringt?

    Sei mir nicht böse. Natürlich verstehe ich, dass Du mit Deiner Frau noch etwas unternehmen möchtest. Und Dir Hilfe wünscht. Mein Ehemann möchte das auch gerne. Aber ich kann sprechen und ihm sagen, wenn es zu anstrengend für mich wird.

    Bleib am Ball; es gibt bestimmt Pflegeheime, die Hilfeeinrichtungen auch für Stunden zur Verfügung stellen. Oder geh als Notfall rotzfrech in ein Krankenhaus. Aber frage Dich zunächst, ob Du Deiner Frau das wirklich alles zumuten solltest.

    Mit freundlichen Grüßen, Martina